Ich dachte, da sei ein Mitarbeiter eines städtischen Amts dabei, ein Schild an einem Baumstumpf am Weg neben der Isar zu befestigen. Am nächsten Tag sah ich, dass da etwas anderes entstehen sollte. Und dass kein öffentliches Amt beteiligt war. Der Künstler Peter Weismann hatte mit einer neuen KunstBauStelle im Rahmen seiner die Isar entlang wachsenden Installation MARE NOSTRUM begonnen.

Mare Nostrum hat, so beschreibt es Peter Weismann in einer die Aktion begleitenden Dokumentation, „als Ausgangspunkt die UNITED Liste der Toten, die 2018 unter dem Titel „Todesursache: Flucht“ herausgegeben wurde. Sie versammelt die in Europa, Afrika und der Levante dokumentierten Todesfälle von Menschen auf der Flucht. Über 35 000 Menschen listet sie auf zusammen mit dem meist Wenigen, was über sie bekannt ist. Die meisten sind namenlos, nur eine Zahl. Jedem Einzelnen dieser Menschen widmet MARE NOSTRUM einen Kieselstein, graviert mit dem Namen oder einem NN (no name). Diese Steine werden entlang der Wanderwege an der Isar von der Quelle bis zur Mündung platziert. Der Strecke von etwa 300 Kilometern entspricht alle acht Meter ein Stein. Dazu entstehen in großen Abständen einzelne Skulpturen aus gefundenen Materialien.“
Er habe einen ohnmächtigen Zorn in sich, dass wir in Europa uns aus dem ungeheuren Elend der Flüchtlinge heraushalten, als wären wir nicht daran beteiligt, welche Armut, welcher Hunger, welche Hoffnungslosigkeit ihnen ihre Heimat unbewohnbar machen. Diesen Zorn in etwas Positives zu wenden und die erschreckend abstrakte Zahl von mehr als 35.000 Toten in etwas konkret Greifbares zu verwandeln, das treibe ihn an. Und dabei strahlt er eine Geduld aus, die es unbedingt auch braucht, um sich an solche Dinge zu wagen. Im Sommer wie im Winter.


Installationen gab es bereits in München, Freising und Landshut. Die jetzige war zuvor in der Lukaskirche platziert, musste dort aber wieder raus. Peter Weismanns Aktion hat einen Ausgangspunkt, aber keinen definierten Verlauf. Sie soll nicht nur zum Nachdenken anregen und den auf der Flucht ums Leben Gekommenen ein Denkmal setzen. Mit seinen Installationen sucht der Künstler auch das unmittelbare Gespräch mit allen, die das auch mit ihm suchen. So habe ich ihn kennengelernt. Und so habe ich ihn an einer Reihe von Tagen im Gespräch mit zahlreichen Menschen erlebt, von neugierigen Kindern und ihren Eltern bis zu einem Asylanwalt, der sich gewissermaßen um die Überlebenden der Flucht kümmert.

Einzelne Namen sind zu entziffern. Die meisten nicht. So wie die meisten der Toten nie irgendwo erwähnt werden.

Peter Weismann im Gespräch mit Rechtsanwalt Friedrich Schikora, der sich seit 30 Jahren für Flüchtlinge einsetzt.
Jetzt ist diese Installation fertig. Stundensäule hat Peter Weismann sie genannt. Mit einer über Solarenergie versorgten Lampe beleuchtet und einem erklärenden Dokument davor hat bis auf Weiteres die Heinrich-Mann-Allee rechts der Isar zwischen Mittlerem Ring und Stauwehr, kurz hinter der Gustav-Freytag-Straße, ein besonderes Highlight. Vielleicht in Zeiten der Pandemie ein guter Grund, mit Schulklassen einen adventlichen Ausflug zu machen. Oder sich zum Gespräch mit Freunden und Bekannten zu treffen. Und vielleicht sieht es jemand, der etwas Ähnliches in Frankfurt oder Berlin baut?


