Jetzt haben also alle, die das wollten, ihre Stimme abgegeben. Bis zum nächsten Urnengang haben sie keine mehr. Niemand fragt sie, was die Grünen mit der FDP und der SPD ausküngeln sollen und schließlich als Koalitionsvertrag bekannt geben. Die noch immer auf die verbrauchte CDU/CSU gesetzt haben, sehen eine auch innerlich völlig zerrissene konservative Partei, bei der zunächst weder Wählervotum noch Basismeinung etwas zählte. Aber ich hatte auch etwas Schönes letzte Woche: Ich war zum ersten Mal in Erfurt. Eine herrliche Stadt.

Es gibt ja viel zu berichten aus den westlichen „Demokratien“ dieser Tage. Der der Bestechung und Bestechlichkeit verdächtige österreichische Kanzler Kurz ist „zur Seite getreten“, um einem anderen ÖVPler den Kanzlersessel zu überlassen, während er als Obmann weiterhin die Zügel der Partei hält. In Großbritannien haben sie nicht kein Benzin, sondern keine billigen osteuropäischen LKW-Fahrer mehr, die ihnen das Öl an die Tankstelle bringen. Grund für Selbstkritik des Brexit-Strategen Johnson? Iwo.

In den USA wird in Texas das schlimmste Abtreibungsverbot verhängt, das es zu meinen Lebzeiten je irgendwo gab, von einem Gericht kurz gestoppt, aber nun weiter verfolgt. Polen sagt der EU, dass ihre Rechtsprechung in Polen nicht gilt, aber die „demokratische“ EU-Kommission bleibt eisern dabei, dass die Mitgliedsbeiträge der EU-Staaten und der Zugang zu ihren Märkten wichtiger sind als Rechtsstaat und Meinungsfreiheit. Zurückgeprügelte Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen und innerhalb Europas? Ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer? Shit happens. Solange es den Bürgern in der Masse so gut geht wie in Deutschland, fast ganz Europa, den USA, China und den anderen Führungsnationen, solange wird es keine wirkliche Demokratie geben in der Welt.

Schönes gibt es aber trotzdem. Gottseidank. Zum Beispiel Erfurt. Ich war eingeladen zu einem Eröffnungsvortrag zu nachhaltiger Industriewertschöpfung und hatte mir einen Tag vorher und hinterher gegönnt, um die Stadt ein wenig kennenzulernen. Was für ein Kleinod! Da liegt mitten auf der Strecke zwischen München und Berlin ein solcher Schatz von einer im frühen Mittelalter zu Stärke gekommenen Großstadt mit über 200.000 Einwohnern, dass ich mich frage, wie viele solcher Schätze mir bisher wohl noch entgangen sind, wenn ich diesen nicht kannte.

Mitten in der Altstadt, auf dem Weg unter den Arkaden hindurch vom Bahnhof zum Rathaus und Domplatz, führt ein kleines Tor auf eine gepflasterte Gasse namens Krämerbrücke.

Es ist tatsächliche eine eng bebaute Doppelbrücke über zwei Arme des Flüsschens Gera. Ein wenig erinnert sie an die Ponte Vecchio in Florenz, aber sie ist viel schöner. Die zig Geschäfte und Geschäftchen, Cafés und winzigen Restaurants haben so viel mehr zu bieten als die Goldkettchen-Läden über dem Arno.

Etwa ein mechanisches Theater, das man durch den Einwurf von ein oder zwei Geldstücken durchs Schaufenster betrachten kann. Die Werkstatt zur Herstellung der Tausende von Kleinteilen und Menschlein und der sie bewegenden Apparate ist gleich daneben zugänglich. An anderer Stelle der Altstadt fand ich noch ein weiteres mechanisches Theater.

Ein Fachwerkhaus in Restauration lässt ahnen, warum die ganze Altstadt so schön ist. Hier wird darauf geachtet, das Schöne zu erhalten, statt inmitten schöner Häuser mehr Geld bringende Hotelhochbauten hinzustellen.

Geld verdienen lässt sich aber in solch ansprechender Atmosphäre offenbar in unterschiedlichster Form mit unterschiedlichsten Waren und Dienstleistungen sehr gut. Ein leer stehendes Geschäft habe ich nicht gesehen in den vielen Stunden, die ich da durch den Ort gestreift bin.

Und noch etwas ist mir aufgefallen: So wie am Domplatz fühlt man sich in der ganzen Altstadt als Fußgänger wohl. Fast keine Autos, aber überall Fußgängerzonen und extrem viele Straßenbahnen.

Erfurt ist die Landeshauptstadt Thüringens. Bodo Ramelow von den Linken führt dort eine Minderheitsregierung, seit nach dem Wahnsinnsergebnis der AfD bei den letzten Landtagswahlen das deutsche Parteiensystem seine Bewährungsprobe nicht bestanden, sondern für ein paar Tage einen Ministerpräsidenten der kleinsten Fraktion FDP mit den Stimmen der Höcke-Nazis ins Amt gebracht hatte. Nun gab es bei den Bundestagswahlen in Thüringen erneut ein Superergebnis für die Höcke-Partei. Die CDU ist überall in der Wählergunst mindestens so stark abgestürzt wie im Westen. Die SPD hat zugelegt. Erfurt und seine Umgebung sind dagegen keine AfD-Hochburgen, sondern SPD-Land. Schon länger.

Vielleicht sind hier gute Leute in der Stadt am Werk, die den Menschen das Gefühl geben, ihr Leben und ihr Wohlbefinden sind wichtig? Man muss das herumerzählen. Vielleicht wäre das ansteckend.