„Das Gespinst der Digitalisierung – Menschheit im Umbruch – Auf dem Weg zu einer neuen Weltanschauung“. Das war der Titel meines Buches, das, 2017 geschrieben, 2018 herauskam. Jetzt, im Frühjahr 2025, möchte ich das Buch in den aktuellen Kontext stellen.

Es gibt einen doppelten Anlass: Erstens schaut die MESCONF, die Modeling Embedded Systems Conference, auf zehn Jahre ihres Bestehens zurück. Dafür wurde ich gebeten, zu meiner Keynote von 2019 einen Text beizusteuern. Und zweitens ist nach dem erneuten Machtantritt Trumps klar, dass seine erste Amtszeit nur ein Vorbote dessen war, was seine digitalen Oligarchen gerne als ‚disruptive Erneuerung des Staates‘ bezeichnen. Es geht um das Überleben der Demokratie.

Am 28. Februar 2025 haben Trump und Vizepräsident Vance die Medienvertreter zu einem Spektakel geladen, das nun ‚der Eklat im Weißen Haus‘ genannt wird. Als Opfer der Show, die wie in den früheren TV-Shows von Trump mit dem Rauswurf endete, hatten die neuen Herren in Washington den Präsidenten der Ukraine, Volodymyr Zelens’kyi, vorführen wollen. Es lief aus dem Ruder, aber vermutlich ungefähr so, wie geplant.

Seit diesem Eklat – zum ersten Mal in der fast 250-jährigen Geschichte der USA wurde der geladene Präsident eines befreundeten Staates aus dem Weißen Haus geworfen – ist offensichtlich, dass ‚der Westen‘ seine bisherige Führung verloren hat. Europa sieht sich schlagartig, wenn auch mit langer Vorankündigung, ohne militärische und politische Verbündete den drei nun offen um die Weltherrschaft streitenden Großmächten USA, Russland und China gegenüber. Und für den Augenblick sogar mit einer ersten Verbrüderung von Putin und Trump.

Als ich „Das Gespinst der Digitalisierung“ schrieb, hatte ich natürlich noch keine Ahnung, wie tief der sich andeutende Riss durch die Welt gehen würde. Und dass er zwar sehr viel mit der Digitalisierung zu tun haben würde, aber auf eine viel drastischere Art, als ich mir das vorstellen konnte.

Deshalb nutze ich die Gelegenheit, um die Digitalisierung erneut in den welt- und gesellschaftspolitischen Umbruch einzuordnen, den wir erleben. Vielleicht wäre eine Neufassung des ganzen Buches die richtige Kosequenz.

„Ein Gespenst geht um, nicht nur in Europa – das Gespenst der Digitalisierung.“ Mit dieser Abwandlung des ersten Satzes des Kommunistischen Manifests wollte ich natürlich nicht die Digitalisierung mit dem Kommunismus vergleichen, sondern die Art und Weise, wie die Digitalisierung vor allem in Europa und hier in besonderem Maße in Deutschland auch heute noch von vielen Menschen gesehen wird: wie eine Bedrohung aus dem Off, von der man genauso wenig weiß und versteht, wie im 18. Jahrhundert vom Kommunismus. Wie ein Gespenst. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass sich mit der Digitalisierung eine neue Art von Wirtschaft und Gesellschaft abzeichnen könnte. Weil Software und vor allem Software as a Service dem ursprünglichen Hardwareprodukt in der Industrie den Rang ablaufen könnten.

Warum „Gespinst“ und nicht „Gespenst“? Das Wort Gespinst, Synonym für Kokon, Spinnennetz und Netzwerk, drückt sehr bildhaft aus, was spätestens seit Internet und Smartphone das Schöne und zugleich Beängstigende an der Digitalisierung ist: dass sie sich fast unsichtbar über die gesamte Erde ausbreitet und alle Menschen und zunehmend auch alle Dinge miteinander vernetzt, ohne dass – so sah ich es damals – schon klar ist, wer die Spinnen und wer ihre Opfer sind.

Was mich zu diesem Buch veranlasste, war der Beginn des radikalen Wandels der politischen und gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der Welt. Trump war zum ersten Mal an der Macht, der Brexit hatte Zustimmung gefunden, der rechte Populismus nahm in ganz Europa zu und in einer Reihe von Ländern begannen rechtspopulistische Parteien nach dem Erreichen der Regierungsmacht durch Wahlen mit tiefgreifenden Angriffen auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und auf die Gewaltenteilung, auf die Freiheit der Presse und generell auf die Meinungsfreiheit, etwa in Ungarn und damals auch in Polen.

Das Gespinst der Digitalisierung Buch Ulrich Sendler

Mein Buch als Hardcover bei Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2018, ISBN 978-3-658-21896-6, als eBook ISBN 978-3-658-21897-3

Meine These war: Es könnte die Angst der einen vor den Folgen der Digitalisierung sein und der Machtzuwachs und das Streben nach Macht und wachsendem Reichtum mit Hilfe der Digitalisierung bei den anderen, was zu dieser offensichtlichen und auf den ersten Blick unerklärlichen, weltweiten Spaltung der menschlichen Gesellschaft in Demokratiebefürworter und deren Gegner führte.

Aus jetziger Sicht ist diese These nicht mehr aufrechtzuerhalten. Nicht die Angst vor der Digitalisierung spaltet die Gesellschaft, sondern die nie dagewesene Machtfülle und der unermessliche Reichtum einer Handvoll Monopolisten, die die Digitalisierung für sich zu nutzen wussten und wissen. Wenn man so will: die schon in meinem Buch so genannten Riesenspinnen, deren digitale Geschäfte ihre Herren zu den reichsten Menschen gemacht haben, die die Welt je gesehen hat.

Die Hightech-Monopole und die Spaltung der Welt

Das gilt vor allem für die sogenannten Hyperscaler um Amazon, Apple, Google, Meta (Facebook etc.), Microsoft, Tesla und X (vormals Twitter), und ein paar andere in den USA, mit denen sich Trump jetzt zusammengetan hat. Die digitalen Oligarchen.

Es gilt auf eine andere Art für die chinesischen Machthaber unter Xi Jinping, deren Einparteiensystem sich ebenfalls längst auf die Beherrschung von Internet, digitaler Vernetzung und Künstlicher Intelligenz – und neuerdings auch wieder auf Jack Ma und sein Alibaba – stützt. China auch als technologischer Rivale der US-Oligarchen.

Die dritte Großmacht, die in und für Europa derzeit die größte Bedrohung darstellt, Russland und der Imperialismus Putins, stützt sich ebenfalls neben ihrer militärischen Macht auf die digitalen Möglichkeiten der Vernetzung und der neuen Medien. Allerdings nicht aufgrund eigener technologischer Stärke, sondern unter Nutzung vorhandener Technik für umfassende Cyberattacken auf Demokratie und Meinungsbildung. Ohne Digitalisierung wäre der Erfolg der Lügenpropaganda aus dem Kreml nicht denkbar.

Nach dem erneuten Machtantritt Trumps, nun mit Musk als nicht gewähltem und keinerlei Kontrolle unterworfenem Mitdiktator, erleben wir eine Wiederkehr alter, geradezu absolutistischer Machtpolitik wie im 19. Jahrhundert oder im Mittelalter. In den USA, in China, in Russland. Während das nach wie vor mehrheitlich demokratische Europa (noch) nicht zu einer inhaltlichen und institutionellen Einheit gefunden hat, aus der auch eine eigene Stärke erwachsen könnte.

Und während Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land der EU nach dem Bruch der Ampel-Koalition noch keine Regierung hat, die in den nächsten Jahren eine starke und führende Rolle übernehmen könnte. Und während auch quer durch Europa und auch in Deutschland die Spaltung zunimmt und die politischen Extrempositionen zur Normalität zu werden drohen.

Es wäre also ein dramatisch anderes Buch, das ich heute schreiben, eine andere Keynote, die ich heute halten würde. Jedenfalls, was die politische Einordnung der Digitalisierung betrifft. Auch die von mir im letzten Kapitel des Buches, „Mensch oder Maschine?“, angedachten „zentralen Aufgaben zur Regelung der digitalen Gesellschaft“ (Das Gespinst der Digitalisierung, S. 294) erscheinen mir heute fast als naiv. Dazu am Ende dieses Textes noch einige Gedanken.

Doch der größte Teil von „Das Gespinst der Digitalisierung“ hat seine Gültigkeit behalten. Die weltgeschichtliche Einordnung der digitalen Transformation, der Zusammenhang mit der industriellen Revolution der letzten 250 Jahre, und die Analyse der ersten Jahrzehnte der Digitalisierung in Gesellschaft und Industrie – das ist auch für das Verständnis der aktuellen technischen und technologischen Entwicklung sehr hilfreich.

Als die Leibeigenschaft nicht mehr passt

Wichtig war mir der Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und der industriellen Revolution im Europa der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die schließlich zur Kritik des Kapitalismus durch Karl Marx und zu seinem Kommunistischen Manifest führte.

Es war nämlich die industrielle Revolution, die in Europa und in den USA die Demokratie wieder neu erwachen ließ – nach einer Pause von rund 2.500 Jahren seit dem Ende der ersten Demokratie im alten Athen. (Dazu im Buch das Kapitel 11 „Demokratie – antik, modern, digital“, S. 223 ff.) Über diesen Zusammenhang und die verblüffende Gleichzeitigkeit von Industriekapitalismus und moderner Demokratie gab und gibt es erstaunlicherweise kaum Literatur.

Arbeiterinnen der Lebensmittelfabrik Heinz in Pittsburg 1908 beim Stanzen von Dosen-Endteilen (Foto Wikimedia Commons)

Dabei ist der Zusammenhang leicht zu verstehen. Nach vielen Jahrhunderten, in denen die Gesellschaft für ihre Entwicklung fast vollständig auf landwirtschaftliche Produktion gebaut hatte, entsprachen die gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnisse und Regierungsformen vor allem den Interessen der Besitzer von Grund und Boden, einschließlich der Kirchen, denen ein erheblicher Teil davon gehörte.

Im nun beginnenden Industriezeitalter aber wurden die Besitzer der industriellen Produktionsmittel, der Maschinen und Fabriken, zu den Haupttriebkräften der Gesellschaft, getragen von lohnabhängigen Arbeitern, nicht von Leibeigenen, und deshalb brauchte die Gesellschaft neue Formen der politischen Macht. Dafür erwies sich der Rückgriff auf die Athener Erfahrungen als sehr geeignet.

Nach ersten Ansätzen, etwa in den USA, das Wahlrecht und damit die Macht im Staat über die Höhe der gezahlten Steuern direkt von Einkommen und Besitz abhängig zu machen, wurde diese Beschränkung bald fallengelassen. Besser für die Akzeptanz war, dass alle – zumindest beim Wählen – gleiche Rechte hatten. Bis vor hundert Jahren hieß das allerdings immer noch nur: alle (weißen) Männer. Nur auf Basis dieser neuen gesellschaftlichen Ordnung, die der Leibeigenschaft und generell der Herrschaft der Grundbesitzer endgültig das Ende bereitete, konnten die Menschen in den Massen für die lohnabhängige Arbeit gewonnen werden, wie die aufstrebende Industrie sie schon sehr bald brauchte.

Nach der letzten Eiszeit

In der Menschheitsgeschichte gab es zuvor, soweit wir heute wissen, nur eine einzige solcher grundlegenden, weltweiten Umwälzungen. Das war – nach den übrigens erst in den letzten 25 Jahren gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen – nach der letzten Eiszeit die landwirtschaftliche Revolution. Mit ihr endete die Zeit der Jäger und Sammler. (Dazu Kapitel 3.2 „Nur eine Steinzeit entfernt“, Das Gespinst der Digitalisierung, S. 46 ff.)

Die landwirtschaftliche Revolution begann an verschiedenen Stellen des Globus vor etwa 12.000 Jahren und brauchte etwa 4.000 Jahre, bis Ackerbau und Viehzucht über die ganze Erde verbreitet waren. Interessanterweise fand dies nicht aufgrund von Verständigung und Nachahmung statt, sondern auf unterschiedliche Weise und zu sehr verschiedenen Zeiten in einer Vielzahl von Regionen. Für uns heute kaum noch vorstellbar: All diese Regionen, in denen die Menschen sich ausbreiteten, kannten noch keinerlei Vernetzung, keine Verbindungswege, nicht einmal die Mittel, mit denen man sich hätte auf den Weg machen können. Das Rad war gewissermaßen noch nicht erfunden.

Die erste Region der landwirtschaftlichen Revolution war – etwa zwischen 13.000 und 10.500 vor unserer Zeitrechnung – der Fruchtbare Halbmond, ein Gebiet, das heute die Staaten Israel, Jordanien, Syrien, Türkei, Irak und Iran umfasst. Was dort, speziell im heute türkischen Göbekli Tepe, 1994 unter einem regelrechten Berg von Sand entdeckt wurde, führte einen der beteiligten Archäologen, den früh verstorbenen Forscher Klaus Schmidt, zum Titel seines sehr empfehlenswerten und spannenden Buches „Sie bauten die ersten Tempel“. (C.H. Beck, München, 2006)

Die Bauten, die von den Bewohnern etwa 8.000 vor Christi Geburt vermutlich wieder zugeschüttet wurden, hatten wie Kirchen oder Gebetsräume ohne Dach, zu Versammlungen aus einem Umkreis von mehreren Hundert Kilometern gedient. Die in und auf den Steinen und Säulen angebrachten Skulpturen stellten die wilden Tiere dar, die die Menschen zuvor bedroht hatten, und deren Jagd neben dem Sammeln von Beeren und Früchten über Jahrtausende die einzige Tätigkeit der Menschen zu ihrer Ernährung gewesen war.

Zahlreiche Forscher vermuten, dass es die Folgen der landwirtschaftlichen Revolution und der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht waren, über die sich die Menschen miteinander austauschen mussten und wollten. Übrigens hätten sie die besagten „Tempel“ auch gar nicht durch die Erbauer und Steinkünstler erstellen lassen können, wenn sie solche Dienstleister nicht bereits aufgrund erster Arbeitsteilung und vor allem dank eines Überschusses an Nahrungsmitteln durch angebautes Getreide und gezüchtete Tiere hätten versorgen können.

Bis zur nächsten großen Menschheitsrevolution, der Geburtsstunde der Industrie, dauerte es etwa 10.000 Jahre. Sie brachte den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. Im Jahr 1769 waren sowohl die Waterframe Textilmaschine als auch die Dampfmaschine von James Watt die ersten Maschinen, mit denen die industrielle Revolution in Großbritannien begann. Gefolgt (und fleißig raubkopiert) in Frankreich, Deutschland und den USA. Mit der frappierenden zeitlichen Koinzidenz der ersten demokratischen Verfassung der Neuzeit 1787 in den USA und der französischen Revolution 1789. Bei der Formulierung der französischen Verfassung war auch Thomas Jefferson beteiligt, einer der Väter der amerikanischen Verfassung, denn er fungierte zu diesem Zeitpunkt als US-Botschafter in Paris.

Die vergessene, frühe Rechenmaschine

So offensichtlich der Motor und das Herz der industriellen Revolution die Maschine war, mit der körperliche Arbeit ersetzt wurde, um ein unvorstellbares Vielfaches der Produktivität und der nun möglichen Industrieprodukte zu erreichen; so dramatisch der damit verbundene, ungebremste Verbrauch natürlicher Ressourcen in nur 250 Jahren zur heutigen Klimakatstrophe führte – so klar ist im Nachhinein, dass die Digitalisierung nicht eine unter vielen technologischen Entwicklungen der Industrie ist, sondern als künftiges Herzstück von vornherein in der industriellen Revolution angelegt war. Sozusagen als die Sorte Maschinerie, die auch die menschliche Kopfarbeit großteils ersetzen kann. Ebenfalls mit dem Ziel, ein unvorstellbares Vielfaches der Produktivität zu erreichen.

Bis die Dampfmaschine von James Watt 1769 wirtschaftlich erstmals einsetzbar war, lag ihre Erfindung durch Thomas Newcomen im Jahr 1712 immerhin 57 Jahre zurück. So lange dauerte damals die Entwicklung eines Produktionsmittels bis zur Marktreife. Und in solch einem Abstand, rund 60 Jahre nach der Dampfmaschine, erfand Charles Babbage ebenfalls in England eine mechanische Rechenmaschine. (Zur Geschichte der ersten Computer siehe Kapitel 5 „Als das Digitale noch Hardware war“, Das Gespinst der Digitalisierung, S. 87 ff.)

Die nach den Konstruktionsunterlagen von Babbage in den 1990er Jahren nachgebaute Rechenmaschine i Wissenschaftsmuseum in London. Babbage hatten die Fehler in Logarithmentafeln gestört. Deshalb begann er die Arbeit. (Foto Wikimedia Commons)

Diese Rechenmaschine wäre dem Computer von Konrad Zuse und auch dem ersten US-Computer von Howard Aiken nach den Aussagen dieser Erfinder technisch überlegen gewesen und hätte besser funktioniert. Die staatlichen Fördergelder für Babbage waren gestrichen worden und von seinem Lebenswerk blieben nur die Konstruktionszeichnungen. Auf deren Grundlage wurde aber in den 1990er Jahren diese Maschine fertiggestellt. Sie läuft seither fehlerfrei im Wissenschaftsmuseum in London. Die Computerpioniere der Vierzigerjahre hatten bei ihren vermeintlichen Erfindungen von der Babbage Rechenmaschine nichts gewusst. Sie war für über 100 Jahre vollständig vergessen gewesen.

Die vier Stufen der industriellen Revolution

Die Digitalisierung ist also gewissermaßen der logische letzte Schritt der Industrialisierung der menschlichen Gesellschaft. Der Weg dahin verlief in großen Sprüngen. Als die deutsche Industrie, ihre Verbände und die Bundesregierung 2011 die Initiative Industrie 4.0 ausriefen, meinten sie damit eine vierte industrielle Revolution. Sie definierten nämlich im Nachhinein drei Stufen, die zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen waren.

Nach der ersten mit der Dampfmaschine gab es in dieser Lesart zu Beginn des 20. Jahrhunderts die zweite industrielle Revolution mit Elektrifizierung, Fließband und Öl. Als dritte wurde die Automatisierung der industriellen Produktion mit Hilfe Speicherprogrammierbarer Steuerungen (SPS) identifiziert. Sie fand ab den 1970er Jahren statt, und in diesem Ausmaß und mit diesem enormem Erfolg vor allem in Deutschland und im deutschsprachigen Raum.

Mit der Automatisierung und der Nutzung von Computer und Software für den Kern der Fabrik, die Produktion, entschieden sich die Unternehmen im deutschsprachigen Raum instinktiv richtig in Hinsicht auf die Zukunft ihrer Wirtschaft. Denn in der Industrieproduktion und in der Entwicklung von Produkt und Produktionsmitteln hat diese Region in der Welt ein besonderes Kapital: eine riesige Masse von mittelständischen Unternehmen, gegründet und angeführt meist von Ingenieuren (46.000, von denen jedes zweite weniger als 500 Mitarbeiter hat); Millionen von Menschen mit dem Hintergrund einer weltweit immer noch einmaligen dualen Berufsausbildung; und damit ein Fundus von Tüftlern und Erfindern und ihren Start-ups, die für die Weiterentwicklung der Industrie ein unbezahlbarer Vorteil sind.

Interessanterweise hat sich in derselben Zeit der Siebzigerjahre, in der sich unsere Industrie auf die Automatisierung fokussierte, die amerikanische Industrie von ihren Fabriken zu verabschieden begonnen und ihre Zentren der Fertigung zum Rust-Belt verkommen lassen. Zu verlockend war die absolute Konzentration auf den Computer und dann auf die Software, das Internet, die Cloud und die KI. Und das alles auf dem damals noch unendlich großen globalen Markt für die Endnutzer in aller Welt, also für Milliarden von Menschen.

Aus dieser Spaltung der Industriewelt in Hardware (D,A,CH und China zunächst nur als verlängerte Werkbank) und Software (USA, später auch China) ging die derzeitige Rangfolge der Wirtschaftsnationen hervor, in der USA und China die ersten beiden Plätze belegen, aber Deutschland immer noch den dritten. Denn allen Unkenrufen zum Trotz erlebt unsere Industrie zwar gerade eine Talfahrt, aber sie trägt immer noch rund 20 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und bietet rund 20% der Arbeitsplätze.

Während die ehemaligen Industrieländer USA, UK, Frankreich, Italien und Spanien längst bei beidem nur noch zehn Prozent oder weniger melden. Die Hyperscaler und Dienstleister aller Art sind nun mal keine Industrie, und ihr Geschäftsmodell beruht ja darauf, nichts zu produzieren. (Zur Spaltung der Industriewelt siehe Kapitel 7.1, „Beginnende Spaltung in Hardware- und Softwareindustrie“, S. 140 ff.)

Lichtblick in der neuen Weltunordnung?

Als ich das Buch 2017 fertigstellte, hatte ich die Hoffnung, dass Trump 1 vielleicht schlimm genug sein würde, um Trump 2 zu verhindern. Dass die Spaltung der Welt und der einzelnen Gesellschaften überwunden werden könnte.

Ich träumte sogar davon, dass die Digitalisierung und die Möglichkeit der Vernetzung von allem und jedem neben vielen neuen Bequemlichkeiten und Ideen auch ein wichtiges Werkzeug sein könnte, um die Kommunikation der Menschen miteinander zu verbessern. Vielleicht sogar bis in die Politik. Und dann kamen die Zwanzigerjahre.

Im letzten Jahrhundert gab es die „Goldenen Zwanziger“. Hitler, Mussolini, Stalin entfalteten in den Dreißigerjahren ihre brutale Macht. In diesem Jahrhundert begannen die Zwanziger mit dem Sturm aufs Capitol und der Nichtanerkennung des Wahlsieges von Biden durch Trump, mit der Corona-Pandemie, und zahlreichen Vorboten einer Zeit, die heute, im Februar 2025, bereits Realität werden.

Trump hat wieder die Macht und ist diesmal wesentlich besser vorbereitet. Er zerlegt nicht nur den demokratischen Staat, sondern macht seine Empathielosigkeit und sein grenzenloses Machtstreben und grenzenlosen Reichtum zur neuen Weltanschauung, geschmückt mit mehr Lügen, als alle Faktenchecks gemeinsam auch nur zählen können.

Die Weltordnung, von der man Ende der Zehnerjahre noch reden konnte, existiert nicht mehr. Unordnung ist die neue Ordnung. Und an der Spitze dieser Weltunordnung stehen die Hyperscaler-Oligarchen mit dem reichsten Menschen der Welt, Elon Musk, an der Spitze.

Deutschland hat alle Gewissheiten verloren, die zeit meines bisherigen Lebens, also seit dem zweiten Weltkrieg, selbstverständlich zu sein schienen. Dass Europa nun einen Weg findet, schnell genug gegen die neuen Gegner – USA unter Musk/Trump, China unter Xi Jinping, Russland unter Putin – eine eigene starke Position zu finden, erscheint zumindest nicht sicher.

Ob die Digitalisierung ihre positiven Potenziale entfalten kann, von denen ich in meinem Buch am Ende noch einige voller Zuversicht aufgelistet hatte, das ist keineswegs ausgemacht. Irgendwann vielleicht, aber nicht, wenn die Oligarchen jetzt Erfolg damit haben, ihre Macht auch noch von den wenigen Fesseln zu befreien, die ihnen gerade bei uns in Europa angelegt wurden.

Einen Lichtblick will ich nicht verschweigen, der auch mit der Digitalisierung zu tun hat: Die deutsche Industrie ist seit wenigen Jahren dabei, aus ihrer Mitte heraus das offene Linux zum Standardbetriebssystem von Plattformen zu machen, die die Industrieautomatisierung auf eine völlig neue Stufe heben. Es sind derzeit nach meiner Kenntnis ausschließlich Plattformen deutscher und österreichischer Anbieter. 13 sind derzeit in meiner Marktübersicht Smart Automation vertreten. Hier entwickelt sich ein sehr innovativer Markt, der die Industrie im deutschsprachigen Raum ein weiteres Mal an die Spitze in der Welt bringen könnte. Auch als Gegengewicht zu den Hyperscalern.