Tödlich lächerlich

1885 schrieb Karl Marx in einer Vorrede zu ‚Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte‘ über seinen Freund: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Damit hat Marx nicht gesagt, dass die Farce weniger gefährlich oder tödlich ausfallen muss als die Tragödie. Sie kommt nur lächerlicher daher.

Trump ist als menschenverachtender Egomane, Rassist und die Gewalt verherrlichender Machthaber, als lernunfähiger, Wissen und Wahrheit leugnender Rechtsbeuger durchaus eine Karikatur des aus Braunau nach Berlin aufgestiegenen, als Soldat und Postkartenmaler gescheiterten Psychopathen Hitler. Was er in den letzten vier Jahren aufgeführt hat, war die Farce der Tragödie, die Hitler vor fast hundert Jahren über Deutschland und die Welt zu bringen begann. Aber heute, am 17. November 2020, sind 246.879 in diesem Jahr an Covid-19 gestorbene US-Bürger nur eines von vielen Beispielen dafür, wie tödlich auch ein Hampelmann sein kann, wenn er – wie Hitler über Wahlen – an die Macht kommt.

Viele glauben gern, das Drama des Versagens der US-Demokratie in den letzten Jahren sei etwas Neues und nie Dagewesenes. Manche möchten sogar glauben, dass der Wahlsieg von Joe Biden und seine geplante Übernahme der Präsidentschaft am 21. Januar 2021 ein Beweis für die Stärke und das Überleben der westlichen Demokratie wären. Beides ist falsch.

Wer wissen will, wie korrupt das US-amerikanische Regierungssystem schon all die Jahre vor Trump war, dem sei die Trilogie des amerikanischen Thriller-Autors Don Winslow über den sogenannten Drogenkrieg der USA gegen Mexico und Lateinamerika ans Herz gelegt. ‚Jahre des Jägers‘ hieß der dritte Teil, der 2019 unter dem Originaltitel ‚The Border‘ in die Buchläden kam. Der 2017 an die Macht gekommene Präsident heißt darin nicht Trump, sondern Dennison, sein Schwiegersohn nicht Jared Kushner, sondern Jason Lerner. Eine kleine Leseprobe:

In einem exklusiven Interview mit der Washington Post lässt Winslow seinen Protagonisten Art Keller, zuletzt Chef der Drogenvollzugsbehörde DEA, sagen: „(…) Jason Lerner, der Chefberater des Weißen Hauses und Schwiegersohn des neuen Präsidenten, habe wissentlich ein Darlehen von einem mexikanischen Bankinstitut akzeptiert, das mithilfe von Drogenhandelsorganisationen, unter anderem dem Sinaloa-Kartell, zustande gekommen war. Keller behauptet, Lerner habe den Kredit in Höhe von zweihundertfünfundachtzig Millionen Dollar angenommen, um seinem Unternehmen Terra und dem Bauprojekt Plaza Towers nach dem Rückzieher der Deutschen Bank aus der Finanzkrise zu helfen. (…) das Geld sei außervertraglich in Form von Mietzahlungen durch Briefkastenfirmen, fingierte Anschaffungen von Bau- und Ausstattungsmaterialien sowie fingierte Budgetüberziehungen transferiert worden. (…) Keller erklärte, ein Vertrauter der Regierung Dennison habe ihn angesprochen und ihm das Angebot unterbreitet, ihn weiterhin im Amt zu belassen und eine Reihe von Zugeständnissen ihm gegenüber zu machen, unter der Voraussetzung, dass er die Ermittlungen gegen Lerner und Terra einstelle. (…) Als er das Angebot ausschlug, sagte Keller, hätte ihm derselbe ‚Vertraute‘ gedroht, ihn ‚zu vernichten‘“.

Man zweifelt nicht daran, dass Trump nicht nur mit dem falschen Versprechen des Baus einer Grenzmauer gegen die Drogen aus Mexiko seine Wähler gewonnen hat, sondern dass er und seine Familie auch unmittelbar an Geldwäsche aus dem Drogengeschäft beteiligt sind. Soeben hieß es, Trump versuche offenbar derzeit, die Machtübergabe so lange wie möglich hinauszuzögern, weil auf ihn eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren in New York warten, vor denen ihn bisher seine Immunität geschützt hat und für die er sich nun wappnen will. Gestern kam in den Nachrichten, möglicherweise werde sich Trump noch selbst vorsorglich amnestieren, wie auch immer das funktionieren mag.

Es sind aber auch nicht erst die letzten zwei oder drei Jahrzehnte, in denen das US-amerikanische System aus dem Ruder gelaufen wäre. Es ist gar nicht aus dem Ruder, es war von Anfang an nicht anders. Don Winslow lässt Keller im letzten Kapitel sagen:

„Der Krieg gegen die Drogen dauert nun fast fünfzig Jahre an – ein halbes Jahrhundert. Es ist der längste amerikanische Krieg. Wir haben in seinem Verlauf viele Milliarden Dollar ausgegeben, Millionen von Menschen hinter Gitter gebracht – die meisten von ihnen sind arm oder dunkler Hautfarbe, wir haben die weltweit größte Gefängnispopulation – und unsere Polizeikräfte militarisiert. Der Krieg gegen die Drogen hat sich verselbständigt, ist zu einer sich selbst erhaltenden ökonomischen Maschinerie geworden. Städte, die einst als Fabrikstandorte konkurrierten, wetteifern jetzt darum, Gefängnisse bauen zu dürfen. Mit der ‚Gefängnisprivatisierung‘ – einer der hässlichsten Wortkombinationen, die ich mir vorstellen kann – schlagen wir Kapital aus unseren Vollzugsanstalten. Unternehmen erwirtschaften Profite damit, dass sie Menschen einsperren. Gerichte, Anwälte, Polizei, Gefängnisse – wir sind süchtiger nach dem Krieg gegen die Drogen als nach den Drogen, gegen die wir den Krieg führen.“

Die Krimi-Klassiker: Seit 80 Jahren Umweltzerstörung für den Profit

Ich lese gerade – als Ersatz für Kino und Konzert – mal wieder einige der klassischen amerikanischen Kriminalromane, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren etwa mit Humphrey Bogart verfilmt wurden. Zum Beispiel als Philip Marlow bei Raymond Chandler. Oder mit Paul Newman als Lew Harper alias Lew Archer bei Ross Macdonald. Und bei der Lektüre der Romane, die in den Vierziger- bis Siebzigerjahren geschrieben wurden, bin ich erschrocken, dass all das, was uns jetzt erschreckt, schon da, vor 50 bis 80 Jahren, den Alltag bestimmte.

Die Ursachen des Klimawandels durch Umweltverschmutzung hier in Form einer Ölpest bei Los Angeles (in ‚Dornröschen war ein schönes Kind‘ von Ross Macdonald, 1973): „Von der Anhöhe über dem Hafen konnte ich die riesige Ölfahne sehen, die sich wie zu früh heranziehende Nacht über dem Meer ausbreitete. (…) Die Brandung stieg träge an. Ein schwarzer Vogel mit spitzem Schnabel kämpfte darin. Der Vogel hatte orangerote Augen, die zu brennen schienen vor Wut, aber er war so verschmutzt von Öl, dass ich ihn zuerst nicht als Haubentaucher erkannte.“

Riesige Waldbrände in Kalifornien an den Rändern von Los Angeles wie in diesem Herbst (in ‚Der Untergrundmann‘ von Ross Macdonald, 1971): „Das Feuer kam den Hügel hinunter und nahm an Geschwindigkeit und Größe zu. Die Bäume begannen zu schwanken. (…) Es lärmte wie ein Sturm. Gewaltig, heiß und wild sprang es unbeholfen auf die Bäume über. Die rauchende Zypresse ging in Flammen auf. Dann loderten die anderen Bäume auf wie riesige Fackeln in einer Reihe.“

Die teuersten Wahlen der Welt sind das System, das die reichsten Menschen der Welt an der Macht und ihre Prioritäten hoch hält. Mit Demokratie und Vertretung der Bürger hat es nichts zu tun. Das liegt daran, dass Wahlen und Parteien von Berufspolitikern eben deshalb installiert wurden. Erst in den USA und Frankreich, dann in der ganzen westlichen Industriewelt. Seit 1850 gibt es die Parteien. Wie wenig sie aus ‚Volksvertretern‘ bestehen, erleben wir jetzt wieder in der Pandemie, und es wird umso schlimmer werden, je näher Wahlen rücken.

In Nordrheinwestfalen wird den Kommunen und Schulleitungen verboten, Klassen in zwei Gruppen zu teilen und sie abwechselnd in der Schule analog und zu Hause digital zu unterrichten, womit nur die Hälfte der Schüler in einem Klassenraum verbliebe. Es bleibt bei Anwesenheitspflicht. Auf die Frage von Klaus Kleber an den FDP-Stellvertreter Joachim Stamp von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet gestern Abend im Heute-Journal, wie er denn zusammenbringe, dass politische Konferenzen fast schon prinzipiell digital stattfinden, Schüler sich aber täglich viele Stunden mit 30 anderen in einem Raum aufhalten sollen, blieb ihm nur die Lüge: Studien hätten bewiesen, dass in Schulen keine Infektionsgefahr bestünde.

Noch ist es nicht kalt in diesem Jahr, und doch kämpfen viele Kliniken bereits mit Notsituationen wegen Covid-19. Die Ministerpräsidenten hierzulande lassen es auf dieselbe katastrophale Lage wie in Spanien, Österreich und Italien ankommen und hebeln die von der Kanzlerin beabsichtigten strengeren Regeln aus. Würde man sie nur ersetzen durch Gremien, die tatsächlich die Zusammensetzung der Gesellschaft wiederspiegeln.

Tagesschau.de meldet heute unter der Hauptüberschrift ‚Zahl der Todesopfer wächst deutlich‘:

„Europa und USA Hotspots der Pandemie“

Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle (ECDC) von Krankheiten zählt in der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum mit rund 500 Millionen Einwohnern mehr als zehn Millionen Corona-Infektionen bislang. 267.394 Infizierte sind verstorben, die meisten in Großbritannien, Italien, Frankreich, Spanien, Belgien und Deutschland.

Noch stärker betroffen sind die USA. Dort gibt es bei etwa 330 Millionen Einwohnern derzeit mehr als elf Millionen Infektionen sowie fast 250.000 Todesopfer. Doch auch Europa ist verglichen zu anderen Kontinenten ein absoluter Hotspot der Corona-Pandemie.“

Wer hätte das gedacht. Europa und die USA, die Zentren der westlichen Industriegesellschaft und ihrer auf Wahlen und Parteien beruhenden Art von Demokratie, sind die Hotspots der Pandemie. Nicht China, Afrika oder Russland. Gibt es einen Zusammenhang? Im Feuilleton der FAZ vom 16.11. schreibt Mark Siemons: „Die hohen Corona-Zahlen im Westen lassen fragen, ob offene Gesellschaften weniger gut auf globale Bedrohungen reagieren können als autoritäre Systeme. Eine Debatte ist fällig, wie sich die Demokratie auf die neue Gefahrenlage einstellen kann.“ Und er kommt auf ähnliche Zusammenhänge, wie ich sie seit einigen Monaten im Wochenschauer formuliere.

Hauptproblem: Das Denken in Wahlzyklen

Der Thinktank ‚Freedom House‘ in Washington zählt laut FAZ achtzig Länder, in denen sich der Demokratisierungsgrad und der Respekt vor Menschenrechten seit Beginn der Pandemie verringert haben. Gegen Ende des Artikels lässt der Autor den britischen Philosophen Roman Krznaric zu Wort kommen, der eine Neuerfindung der Demokratie fordert, wenn Pandemie und Klimawandel erfolgreich bekämpft werden sollen:

„Als Hauptproblem bei der Bewältigung etwa des Klimawandels sieht er den „Präsentismus“, den kurzfristigen Erkenntnis- und Handlungshorizont der Politik, an, hervorgerufen durch das Denken in Wahlzyklen, die Interessen einflussreicher Lobbygruppen und das Ausblenden künftiger Generationen (Hervorhebung von mir). Er zählt verschiedene Initiativen in der ganzen Welt auf, die dieses Defizit auszugleichen versuchen: Bürgerversammlungen in Japan etwa, die sich unter dem Titel „Future Design“ in die Perspektive des Jahres 2060 hineinversetzen, ein parlamentarisches Komitee für die Zukunft in Finnland, ein Ombudsmann für die Zukunft in Israel.“

Unzählige solcher Initiativen gibt es mittlerweile. In dem Buch ‚Gegen Wahlen‘ von David Van Reybrouck, das ich bereits im Wochenschauer #5 KW 41 erwähnt habe, gibt es zahlreiche weitere Beispiele. Nur weder das Buch noch die FAZ noch irgendjemand, der heute unsere Art von Demokratie in Frage stellt und solche Initiativen als vorbildlich anführt, zieht den einzig logischen Schluss: Solche Gremien nicht gewählter, sondern repräsentativ aus der Bürgerschaft zusammengesetzter Menschen müssen die Basis der Demokratie werden. Nicht Feigenblatt oder schöner, von den Übeln ablenkender Zusatz. Als Kernelement und Basis.

Kommentar von Wolfgang Vierling |

Eine Alternative zur Parteienverdrossenheit ist, massenhaft in die Partei einzutreten und sie zu einem Ort der offenen Diskussion und des Kompromisses zu machen. Bürgerschaftliches Engagement verfolgt hauptsächlich partielle Interessen. Längerfristiger, auf das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft gerichteter Einsatz braucht Organisation und mündet in Deutschland bisher in der Gründung einer Partei. Die Chancen, über eine Partei ein Mandat zu erringen und dann maßgeblich lokal bis international auf die „Staatsgeschäfte“ positiv einzuwirken, sind zurzeit vor allem für Frauen groß.

Das Thema politische Mitsprache beschäftigt die Bundesrepublik Deutschland schon seit ihrer Gründung und ist immer noch nicht befriedigend gelöst. Natürlich müssen die Parteien dazu tun, Bürger zum Mitmachen zu gewinnen. Leider steht der Schwäche der Parteien die Bequemlichkeit vieler Bürger, für politische Belange Freizeit zu opfern, gegenüber. Es wird weiterhin um beiderseitige Bewusstseinsbildung, wie in Sendlers Wochenschauer, und um „dicke Bretter bohren“ gehen.

 

Antwort von Ulrich Sendler

Lieber Wolfgang,

dass für langfristige Veränderungen politische Organisationen wie Parteien oder andere Bündnisse notwendi sind, unterschreibe ich sofort. Nur sollten sie nicht die Bürde haben, über vier oder fünf Jahre hinweg mit sehr oft sehr faulen Kompromissen mit ihren jeweiligen Koalitionspartnern Entscheidungen zu treffen, die angeblich den Willen der Bürger wiederspiegeln. Die Partei ist nicht das Problem. Der Berufspolitiker ist es, der angeblich Bürgerinteressen vertritt.

Und im Übrigen hast Du völlig recht, wenn sich die Bürger zurücklehnen und nicht selbst aktiv in die gesellschaftliche Debatte einschalten, dürfen sie sich auch nicht über politische Entscheidungen beschweren.